Einundzwanzig

Es ist noch früh, als Krochowski aus seiner Küchentür tritt. Auf der Straße vor dem Wald liegt der Morgennebel, aber bei Uschi brennt schon Licht. Seit Michael Wildner an einem ganz banalen Herzinfarkt gestorben ist, ist bei Uschi eigentlich immer das Licht an. Heute aber ist das ganze Dorf früh auf, denn heute wird der beliebte Michael Wildner zu Grabe getragen, und Krochowski wird dabei sein. Als Freund, aber vor allem als Urnenträger. Als feststand, dass der große, schwere Mann, geschrumpft auf ein Häufchen Asche, in einer schwarzglänzenden Lackurne beerdigt werden wird, hat Krochowski sich bei Herrn Steiner um die Aufgabe beworben, die Urne zu tragen. Er wird sie in der kleinen Friedhofskapelle auf das Samtpodest stellen und er wird seinen Freund mit behandschuhten Händen zum Grab tragen. Krochowski schluckt bei dem Gedanken, dass er Michael Wildner nie hätte anheben können, als er noch lebte. Nun ist er klein und leicht, und ihn zum Grab zu tragen, wird Krochowskis letzter Akt der nachbarschaftlichen Freundschaft sein.
Uschi winkt aus dem Küchenfenster, sie ist schon schick angezogen, auf ihrem schwarzen Blazer sind Nieten und Glitzersteine aufgenäht.

Im Institut sind Herr Steiner und Janko geschäftig. Das schwarze Kondolenzbuch, die Urne mit Michael Wildners Asche und schwarze Handschuhe liegen im Arbeitsraum bereit. Krochowski holt seinen Anzug aus dem Schrank, die guten Schuhe streift er am Ende über seine dunklen Socken. An einer Socke hat er ein Loch und er weiß, dass sein dicker Nachbar darüber gelacht und ihn aufgezogen hätte. Als Krochowski umgezogen ist, kommt Herr Steiner in den Arbeitsraum und guckt fragend, dann klatscht er geschäftig in die Hände. „Auf, Herr Krocharski, wir fahren zum Friedhof.“ Im Auto gehen sie den Ablauf der Beerdigung noch mal durch. Es wird sehr voll in der Kapelle sein, man wird eventuell die Türen offen lassen und auch die Lautsprecher nach draußen stellen, damit alle die kleine Andacht hören können. Das Kondolenzbuch wird etwas abseits der Kappelle ausgelegt werden, da gibt es eine kleine Plattform. Wenn die Sonne den Nebel geschmolzen hat, wird es ein guter Tag für ein Begräbnis, findet Janko.

Die drei Männer parken das Auto auf der Zufahrt zum Lüchower Stadtfriedhof und kaum sind sie ausgestiegen, beginnt der Taumel. Schnell ist alles für die Beerdigung vorbereitet, und kaum, dass die Urne auf ihrem schönen Samtplatz steht, kommen schon die ersten Gäste. Alle reden gedämpft, aber doch hört Krochowski hier und da ein Lachen. Sein Nachbar Michael Wildner war beliebt für seine Witze, er freut sich, dass auch jetzt Nachbarn und Freunde daran zurückdenken.

Und dann geht es los. Die Trauerrednerin erzählt von Michael Wildners Leben, von seiner Liebe zu Uschi, zum Fußball, zum Dorf. Von seiner Vorliebe für Bratwürste, bei denen die Haut geplatzt ist, von seinem ordentlichen Garten. Ganz vorn sitzt Uschi und sieht irgendwie schief aus. Ganz blass und als wäre sie in der Mitte kaputtgegangen. Sie weint nicht, und Krochowski hat Angst, dass deshalb er in Tränen ausbrechen muss. Aber er hält sich, er hat eine Aufgabe. Als alle fertig geredet und gesungen haben, ist es an der Zeit. Herr Steiner nickt ihm würdevoll zu und dann steht Krochowski auf und geht mit langen Schritten zu seinem Freund in der Urne. Seine Absätze klacken auf dem kalten Kapellenboden. Er stellt sich hinter die Urne, dann hebt er das Lackgefäß vorsichtig an. Er trägt es durch den Kapellengang, vorbei an Freunden und Nachbarn. Krochowski hebt nur selten den Blick, und wenn, schaut er in traurige, ernste Gesichter. Er setzt Schritt vor Schritt und ihm ist etwas schwindelig. Aber als er aus der Kappelle tritt, scheint die Sonne und der Weg zum Grab ist nicht weit. Dort stellt er die Urne auf eine kleine Holzsäule und klopft erleichtert ganz leicht mit der rechten Hand an die Urnenwand. „Haben wir geschafft, Meister“, murmelt er und tritt dann rückwärts einige Schritte zurück.

Der Rest ist wie ein Schwarzweißfilm. Der Pastor, der tröstend spricht, Uschi, die nun doch weint. Das Loch, in dem die Urne verschwindet, der sich lehrende Platz. Im Institut ist die Stimmung erleichtert, Herr Steiner ist sehr zufrieden und lobt Krochowski für seine Arbeit. „Aber beim nächsten Mal verzichten Sie vielleicht darauf, die Urne zu klapsen, lieber Herr Krawauski!“ Krochowski fährt nach Hause. Sein kleines altes rotes Auto schnurrt durch den Nachmittag durch Wiesen und das Dorf. Dann hält er vor seinem Haus. Uschi ist noch beim Leichenschmaus, aber Krochowski hat keine Lust. Er schließt seine Küchentür auf, geht zum Kühlschrank und greift sich eine Bierdose. Dann setzt er sich auf seine Treppe und öffnet zischend den Dosenverschluss. Der Kater kommt angeschnürt und hockt sich neben ihn. Ein erster Schluck, dann kommen zwei Tränen. Sie laufen langsam Krochowskis faltige Wangen hinunter, er wischt sie nicht weg.


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