Das Beerdigungsinstitut ist in einem Eckhaus in Lüchow untergebracht. Im Schaufenster hängt ein Bild mit einem Baum im Nebel, ein Tuch ist auf dem Boden drapiert. Krochowski steht vor der Scheibe und schaut auf das Arrangement. Er muss Speichel hinunterschlucken, beim Schlucken drückt der Hemdkragen unangenehm auf seinen Kehlkopf. Dann fasst er sich ein Herz und geht zu der großen, alten Holztür, legt seine Hand auf die eiserne Klinke und tritt ein. Drinnen ist es still, Staubkörnchen flirren durch das Sonnenlicht. Das Ambiente ist förmlich, ordentlich und sehr, sehr still. Krochowski sieht niemandem in dem Raum und tritt von einem Bein aufs andere. Ob er rufen soll? Er räuspert sich, doch bevor er lauter werden muss, schiebt sich ein Vorhang zur Seite und ein junger Mann betritt den Raum. „Herr Krochewski, da sind Sie ja!“, sagt er und winkt einladend. „Kommen Sie, wir setzen uns hinten bei einer Tasse Kaffee zusammen.“ Kaffee hört sich gut an. Krochowski rückt sich den steifen Krawattenknoten zurecht und folgt dem Mann durch den Vorhang. Die Dielen knarren, als die beiden Männer einen langen, schmalen Flur entlanggehen, an dessen Ende sich ein Büro befindet. Hinter dem großen Schreibtisch steht ein lederner Bürostuhl, auf dem Jonas Steinhauer nun Platz nimmt. Er weist einladend auf einen Stuhl vor seinem Tisch. „Setzen Sie sich doch!“ Sein schlanker, junger Leib steckt in Jeans und Polohemd und Krochowski kommt ich in seinem steifen Anzug mit der Krawatte etwas seltsam vor.

Jonas Steinhauer gießt dampfenden Kaffee aus einer Thermoskanne in kleine, weißblaue Tässchen ein und schiebt ein Tablett mit Milchkanne und Zuckerwürfeln über den Tisch. „Herr Prochowski, wie schön, dass Sie sich beworben haben!“ „Krochowski.“ „Äh? Ja, natürlich, Krochowski.“ Krochowski ist unsicher. „Was hat Sie denn zu ihrer Bewerbung bewogen?“ „Naja…“ Krochowski rutscht auf dem Stuhl ein bisschen nach vorn und knetet seine Hände zwischen den Knien. Soll er die Wahrheit sagen? Dass das Jobcenter ihm im Nacken sitzt und er einfach eine Arbeit sucht, bei der er nicht so viel reden muss? Er räuspert sich und setzt an: „Ich brauche Arbeit.“ Jonas Steinhauer nickt freundlich und wartet. „Und ich rede nicht so gern.“ Sein Gegenüber lacht und sagt: „Na, da sind sie ja bei uns genau richtig. Die Gespräche mit unseren Klienten führe in der Regel ich. Sie dürfen sich getrost im Hintergrund halten.“ Krochowski nickt. Hintergrund. Sehr gut.

Sie reden über den Ablauf einer Beerdigung, Krochowski erzählt von seiner Arbeit bei der Bahn und was ihm am Lok-Fahren Freude bereitet hat. Sie sprechen über Arbeitszeiten, über gutes und schlechtes Wetter, über einfühlsames Verhalten und die Bedeutung von Respekt und Würde. Krochowski nickt und spricht und erläutert und hört zu. Dann sagt Jonas Steinhauer: „Ich habe eine etwas ungewöhnliche Bitte. Ich möchte, dass sie einmal den Flur entlang gehen.“ Ein Schauer durchfährt Krochowski, er fängt aufgeregt an zu zittern. Dann nickt er und steht auf. „Ja klar. Äh, einfach hier entlang?“ „Ja, bitte!“ sagt Jonas Steinhauer und nickt freundlich. „Und…“ er steht ebenfalls auf und greift hinter sich ins Regal: „Wenn sie dies hier noch tragen könnten?“ Eine hübsche, vasenförmige schwarzlackierte Urne wandert in Krochowskis schwitzige Hände. Er nickt und dreht sich um. Schweiß läuft ihm zwischen den Schulterblättern hinab und er hofft, dass sein Polyesterjackett keine Flecken hat. Dann tritt er vorsichtig über die Schwelle des Büros in den Flur und läuft langsam über die Dielen. Seinen Blick heftet er dabei auf den grauen Vorhang. Die Urne hängt rutschig in seinen Händen, er hält die Arme steif vor sich her. Am Ende des Flurs angekommen, dreht er sich um und blickt fragend. Jonas Steinhauer lächelt ihn aufmunternd an. „Sehr gut! Und wieder zurück!“ Krochowski atmet tief ein und geht die paar Schritte zurück zu seinem Gesprächspartner. Dann blickt er verlegen auf die Urne. „Fertig?“ fragt er. „Jaja, das war sehr gut, Herr Krochawski!“ Erleichtert setzt sich Krochowski wieder auf seinen Stuhl. „Haben Sie noch Fragen, Herr Krochawski?“ „Nein. Nur, wann ich anfangen könnte, weil das Jobcenter… Also, falls ich die Arbeit bekomme, meine ich. Und… ich heiße Krochowski…“ Jonas Steinhauer nickt und blättert in seinen Unterlagen. „Tja… Ich müsste mal mit ihrem Kollegen sprechen, der müsste Sie dann ja einarbeiten. Aber grundsätzlich…“ In Krochowskis Kopf rattert es. Grundsätzlich? Was heißt das denn? Kann er hier arbeiten? Jonas Steinhauer lächelt schon wieder. Wie kann einer soviel lächeln, wo er doch dauernd Menschen unter die Erde bringt? „Ich rede mit der Geschäftsführerin und rufe Sie morgen an.“ Dann steht er auf und kommt um seinen Schreibtisch herum. Krochowski springt auf, sein Stuhl kippt ein bisschen nach hinten. „Hoppla!“ Schon wieder so ein Lachen. „Na, dann kommen Sie mal gut nach Hause, Herr Krocharski! Ich melde mich morgen bei Ihnen.“

Im Auto macht Krochowski entgegen seiner Gewohnheit das Autoradio an. Ein Schlager läuft. „Er gehört zu mir“ singt Marianne Rosenberg. Krochowski brummt mit.


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