Es tutet. Krochowski presst das Telefon ans Ohr. Der Hörer rutscht an seiner Wange herum, denn Krochowski schwitzt. Es klingelt erneut. Zweimal, dreimal. Erleichtert will Krochowski schon auflegen, doch dann meldet sich die Stimme eines jungen Mannes. „Steinhauer und Berger, wie kann ich Ihnen helfen?“, fragt die Stimme und Krochowski findet, der Mann könnte ein wenig salbungsvoller und nicht so fröhlich klingen. „Ich habe Ihre Anzeige gelesen“, sagt er. „Deswegen rufe ich an.“ Der Mann schweigt. Krochowski wird unruhig, warum antwortet er denn nicht? „Wegen der Stelle Urnenträger“, sagt er etwas ungeduldig. „Aaaah!“ Der Mann lacht. „Sie möchten sich bewerben?“ Krochowski nickt stumm, dann reißt er sich zusammen und sagt: „Ja!“ „Sehr gut! Dann schicken Sie uns bitte Ihren Lebenslauf und eine kurze Bewerbung. Bitte vergessen Sie nicht, Ihre Telefonnummer aufzuschreiben. Wir rufen Sie an, wenn wir Sie kennenlernen möchten.“ „Kann ich nicht einfach so vorbeikommen?“ Krochowski schluckt. Bewerbungsschreiben. „Nein, das geht leider nicht. Aber Sie dürfen das Schreiben natürlich auch handschriftlich anfertigen.“ Krochowski kann spüren, wie der Mann von einem Fuß auf den anderen tritt. „Na gut.“ „Die Adresse haben Sie? Sie steht unter der Anzeige!“ „Ja, ist gut. Wiederhören.“ „Auf Wiederhören!“

Krochowski lässt den Hörer auf die Gabel sinken. Er soll was schreiben. Ach Gott. Er wählt die kurze Nummer von Michael Wildner. Uschi nimmt ab. „Klaus! Wie war es? Michael hat mir alles erzählt!“ „Gib ihn mir mal“, brummt Krochowski, er hat keine Lust zu plaudern. Schwer atmend kommt der Freund ans Telefon. „Chef! Wie war’s, bist Du eingestellt?“ „Nein. Die wollen, dass ich Ihnen schreibe.“ Man hört es leise rascheln, bestimmt kratzt Wildner sich am Kopf. „Was schreiben?“ „Ja, Lebenslauf und so weiter.“ „Ah. Ich frag Uschi, die hilft Dir.“ Großartig. Krochowski seufzt. Worauf hat er sich da eingelassen?

Zehn Minuten später klappt die Küchentür und Uschi steht in all ihrer Munterkeit in seiner grauen Küche. „Klaus! Ich hab Zettel und Stift und sogar Briefmarken dabei! Wir können direkt loslegen!“ Uschi lächelt, als sie ihren Nachbarn so hilflos dastehen sieht. „Vielleicht machst Du uns erstmal ein Bier auf, hmm?“ Gute Idee. Krochowski geht zum Kühlschrank und nimmt zwei Dosen heraus. Währenddessen hat Uschi schon mal das Geschirr vom Küchentisch geräumt und mit entschlossener Miene die Krümel herunter gewischt. Dann rutscht sie auf die Küchenbank und legt Papier und Stift so hin, dass Krochowski anfangen kann.

„Zuerst die Adresse, Klaus!“ sagt Uschi und blickt sich suchend um. Wo ist die Anzeige? Die Anzeige! Die Zeitung liegt auf dem Kühlschrank, und Krochowski hat sie so gefaltet, dass die Anzeige gleich oben zu sehen ist. „Steinhauer und Berger“, sagt er und „Lindental 3“. „Aha.“ Uschi sieht ihn geschäftsmäßig an. Dann schreib mal auf! Oben links in die Ecke, Nachbar! Krochowski legt die Anzeige vor sich hin und schreibt. „Fertig.“ Uschi nickt zufrieden. „Jetzt den Text. Das fängt immer gleich an“, sagt sie. „Sehr geehrte Damen und Herren.“ Krochowski schreibt. „Komma!“, sagt Uschi. Und dann schaut sie ihn an. „Du musst jetzt aufschreiben, dass Du Dich um die Stelle als Urnenträger bewerben möchtest. Und Du musst denen erklären, warum Du meinst, dass sie Dich einstellen sollen. Du hast doch Berufserfahrung, nicht?“ „Ja, aber doch als Lokführer!“ Krochowski wird ganz zappelig. Das ist doch alles Quatsch. Aber Uschi lässt nicht locker. „Du bist ruhig und freundlich und äh – gepflegt, wenn Du Dich ein bisschen anstrengst.“ Sie lächelt. „Na komm, schreib!“

Am Ende ist das Schreiben fertig, in dem steht, dass Krochowski gern Sarg- und Urnenträger sein möchte. Dass er sich zu benehmen weiß, dass er einen schwarzen Anzug hat und dass er lange arbeitslos war und nun versuchen möchte, wieder auf eigenen Beinen zu stehen.

Der Lebenslauf ist dagegen ein Klacks, die Tabelle mit Schulbildung, Ausbildung und Daten ist nicht allzu lang. Abitur, Ausbildung bei der NVA, Lokführer. Viel ist das nicht, findet Krochowski und doch ist es sein ganzes Leben. Eigentlich nicht so schlecht, wenn man es recht bedenkt.

„Hast Du noch ein Bild?“ Krochowski nickt. Er hat es vorhin schon aus der Küchenschublade gekramt, es ist schon ein paar Jahre alt, aber die Falten zählt ja wohl niemand bei Steinhauer und Berger. „Prima!“ Uschi klebt das Bild oben auf den Lebenslauf und dann schiebt sie beide Blätter in den Briefumschlag. „Einwerfen musst Du selber!“, sagt sie lachend und klopft ihm beim Gehen auf die Schulter.

Krochowski steht vor dem Briefkasten neben dem Fußballplatz und hält den Umschlag in den Händen. Er atmet einmal tief ein, dann hebt er die Klappe des Kastens und lässt den Brief hineinrutschen. Auf dem Heimweg fühlt er sich ein bisschen fröhlich und irgendwie leichter als sonst.


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