Krochowski ist an diesem Samstagmorgen früh aufgewacht. Ein dummer Traum, in dem sein Nachbar Michael Wildner in einem Sarg lag, der bis zum Rand mit hellgelbem Kuchenteig gefüllt war, hat ihn aus dem Schlaf gerissen. Krochowski ist in der Morgendämmerung in den Garten gegangen, um zu pinkeln. Es ist gut, das feuchte, stachelige Gras an den nackten Füßen zu spüren und die volle Blase genüßlich zu leeren. Ein paar Spritzer netzen die Schuppentür. Krochowski schnuppert. Der süßlich-strenge Geruch fällt ihm seit ein paar Tagen auf, aber jetzt wird er unangenehm und stechend. Er öffnet vorsichtig den kleinen Holzverschlag. Auf einem Stapel Autoreifen winden sich ein paar dicke, weiße Maden. Nicht viele, eine Handvoll nur. Aber der Geruch ist stark hier drin. Krochowski steckt vorsichtig den Kopf tiefer in das Dunkel des Abstellraums und atmet noch einmal vorsichtig ein. Es stinkt. Er muss ein bisschen würgen. Wo kommen die Maden her? Er blickt über sich, an die Schuppendecke, sieht ein loses Brett. Es scheint nur noch lose an einem Nagel zu hängen, und ohne nachzudenken zieht er daran. Das Brett löst sich mit einem rostigen Knarzen, dann gibt es ein rutschendes Geräusch. Krochowski kneift die Augen zu, Dreck fällt ihm ins Gesicht und dann passiert das Schreckliche. Eine madenwimmelnde, kalte Masse klatscht ihm erst auf den Kopf und dann auf die Schulter. Überall auf ihm kriecht und windet es sich, Krochowski schreit und rennt vor das Haus. Der Gestank ist nun so intensiv, dass er sich in Krochowskis Gehirn zu bohren scheint. Überall ist der Geruch, in der Nase, im Mund, im Hals. Krochowski würgt und spukt und hustet und erbricht in einem Schwall gelbe Galle ins Gras. Er reißt sich sein Unterhemd vom Leib und wirft es neben den Kotzfleck, dann läuft er mit weichen Knien in die Küche, um sich das Gesicht über der Spüle zu waschen. Was zum Teufel? 

Eine halbe Stunde später sitzt er mit einem Becher Kaffee, den er sich aus Instantpulver gerührt hat, frisch geduscht und gekleidet in der Sonne auf der Treppe vor seiner Küche. Der Verwesungsgeruch wabert immer noch aufdringlich durch den Garten, aber Krochowski muss erst Mut fassen, bevor er um die Hausecke schauen kann. Er atmet ein bisschen flacher und blinzelt in die Sonne. Vom Nachbargrundstück ist schon die Säge zu hören. Michael Wildner arbeitet. Krochwski steht auf und drückt sich am Autowrack vorbei an den Gartenzaun. In einer Sägepause ruft er: „Nachbar!“ Die Säge hebt wieder an. Krochowski seufzt. Er ruft noch einmal, als das Geräusch abebbt. „Eeeeee! Nachbar!“ Diesmal hat Wildner ihn gehört und kommt aus seiner Werkstatt. Groß und dick, in blauer Latzhose mit weißem T-Shirt steht er da. Die Ohrenschützer hat er sich auf die Stirn geschoben. „Klaus! Was gibt es! Hab ich Dich geweckt?“ Krochowski schüttelt den Kopf und winkt den Nachbarn herüber auf sein Grundstück. Diesen schweren Gang kann er nicht alleine tun. Der kommt neugierig durch seinen Garten gelaufen und biegt durch die klapprige Pforte in Krochowskis Reich ein. „Hab was schauderhaftes entdeckt heute morgen“, brummt Krochowski und deutet halb auf die Hausecke, hinter der der Schuppen liegt. „Oh“, sagt Michael Wildner und guckt fragend. Krochowski schiebt den Freund vor sich her. „Ich will nachsehen, komm mit, das musst Du Dir auch anschauen.“ Gut, Michael Wildner kommt mit. Die Schuppentür steht offen, das lose Brett lehnt im Eingang. Davor liegt ein Häufchen, klein und graubraun und mit ein paar weißen Tupfen. „Was ist das?“ Michael Wildner geht näher heran und stupst das Ding mit dem Fuß an. „Eine Katze!“ Eine Katze hat sich in Krochowskis Schuppen zum Sterben verkrochen und nun ist sie Madenfraß und Schreckmoment geworden. Der Nachbar blickt sich suchend um, dann schnappt er sich eine Schaufel, hebt das tote Tier mit einer geschickten Bewegung auf das Schaufelblatt und wirft es dann mit Schwung in die hohen Brennesseln. „Da ist kaum noch was dran, das stinkt nicht mehr lange“ keucht er dabei und dann stellt er die Schaufel weg und blickt Krochowski an. „Frühschoppen?“ 

Die Männer sitzen auf der Küchentreppe und halten ihre Bierdosen in den Händen. Krochowski berichtet von dem Gespräch im Jobcenter und von der Fortbildungsmaßnahme. Seine Stimme ist belegt und er blickt starr geradeaus, als er berichtet, dass ihm die Bezüge gestrichen werden, wenn er nicht mitmacht. Michael Wildner lauscht und nickt und guckt vor sich hin. Dann sagt er: „Eine Arbeit bräuchtest Du. Dann wärst Du die Quälgeister los.“ Die Männer trinken. Dann geht Krochowski in die Küche, holt die sandige Zeitung vom Tisch und hält sie dem Freund unter die Nase. „Sarg- und Urnenträger“ liest der. Er blickt Krochowski ins Gesicht und dann wieder auf die Anzeige. „Ist eine gute Arbeit“, sagt er dann, „nicht schlechter als jede andere.“ „Und die Kunden reden nicht besonders viel“, setzt Krochowski nach. Dann legt er die Zeitung bedächtig auf die Treppe und hebt seine Bierdose an die Lippen. 


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