Die Hündin tappt benommen aus ihrer grauen Transportbox. Gerade ist Tante Marja mit dem Wagen aus München gekommen. Die weite Reise hat das große, kupferrote Tier mit den schönen Locken sediert im Kofferraum verbracht. Nun läuft es staksig auf langen Beinen über das rissige Pflaster des Hofes. Nadeshda hockt sich auf den Boden und lockt mit süßer Stimme: „Komm, Mädchen, komm zu mir!“ Als das Tier sich müde neben sie fallen lässt, vergräbt sie ihre Hände in den eleganten Locken der Setterhündin. Tante Marja hat sich eine Zigarette angezündet und blickt amüsiert auf das traute Bild. „Ich fahre morgen wieder, wie lange kannst Du sie nehmen?“ Nadeshda blickt auf. „So lange Du möchtest“, sagt sie und lächelt die Hündin an. Eine Gefährtin. Ganz allein für sie. Sie fühlt sich wie ein glückliches Kind und möchte hüpfen und singen. Selbst der Großvater, der die Treppe aus der Wohnung herabgestiegen kommt, blickt gütig und zufrieden. „Freya, guter Hund“, lobt er und klopft der Hündin mit dem Stock die Flanke. Dann geht er davon in den Garten. Tante Marja packt Tüten mit Hundefutter, ein großes weiches Hundekissen, Leine und Spielzeug unter das Schleppdach der Scheune. Dann geht sie zum Großvater in den Garten. Nadeshda lässt den müden Hund im Hof zurück und steigt hinauf in die Turnhalle. Ihre Schläge gegen den Boxsack hallen bis hinunter in den Hof, die Klimmzüge gelingen zackig und schnell.

Beim Abendessen herrscht gelöste Stimmung. Nadeshda hat mit Tante Marja Wildkräuter hinter der Scheune gesammelt. Jungen Löwenzahn, Knoblauchrauke und Brennnesselsprossen. Daraus gibt es einen feinen Salat, dazu Nüsse, ein wenig trockenes Brot und eine Apfelsaftschorle. Das Essen ist fein, und es ist schön, wie sie friedlich zusammensitzen. Der Großvater berichtet der Tante vom Arztbesuch und dass der Doktor seine Blutwerte bedenklich fand. „Mach dem Großvater mehr Brennnesseltrunk“ sagt Tante Marja. Nadeshda seufzt. Die Wiesen ums Haus sind abgegrast bei all den Brennnesseln, die sie bereits gesammelt und durch den Mixer gejagt hat. Aber Eisenkapseln kommen dem Großvater nun mal nicht ins Haus. „Was die Natur geschaffen hat, das soll der Mensch nutzen!“ Der Großvater hebt den schrundigen Zeigefinger und nickt. Am nächsten Morgen braust Tante Marja nach knapper Verabschiedung vom Hof. Nadeshda und Freya stehen zusammen unter dem Schleppdach und schauen ihr nach. Dann legt das Mädchen eine Hand auf den Kopf der Hündin und blickt sie einladend an. „Komm“, sagt sie. Mädchen und Hund streifen durch die Wiesen, die gleich hinter dem Hof des Großvaters beginnen. Das erste grüne Gras kämpft sich durch die alten winterblassen Halme, Löwenzahn und Veilchen blühen und die Kopfweiden am Graben haben zarte Frühlingsblättchen angesetzt. Nadeshda spaziert über die Wiese, leicht sind ihre Schritte, und die Hündin weicht ihr nicht von der Seite. Als sie am Eichenwäldchen ankommen, fängt Freya an, sich zu entspannen. Sie trabt elegant los, wittert hier und da und hält Ausschau nach Rehen und Kleinwild. Das rotblonde Fell weht elegant im milden Frühlingswind. Im Unterholz blühen Buschwindröschen in einem dichten grünweißen Teppich. Die beiden drehen eine große Runde entlang der kleinen Straße, die durch die Felder nach Paskewitz führt. Immer weiter führen die Schritte vom Hof des Großvaters weg, und mit jedem Schritt fühlt Nadeshda, wie das Gewicht auf ihren Schultern kleiner wird. Auf einer Wiese vor Paskewitz weiden Schafe mit ihren Lämmern. Neugierig kommen sie zum orangen Elektrozaun und heben ihre weichen Nase und blicken mit ihren seltsamen Augen zu Nadeshda und der Hündin. Das Mädchen sinkt am Zaun ins Gras Sie streckt sich aus und blickt in die Zweige, die den Himmel in ein Muster unterteilen. Lange liegt sie da und kaut auf einem Grashalm und spielt mit dem Fell der Hündin, die sich neben sie gelegt hat. Als es kühl wird, weil die Sonne ihre Kraft verliert, erhebt Nadeshda sich und macht sich auf den Heimweg. Der Großvater wird schelten, sie war zu lange fort.


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