Nadeshda schwitzt. In ihrem Nacken kringeln sich blonde Löckchen, und die Schulterblätter bewegen sich rhythmisch aufeinander zu. Ein kleiner Bach aus Schweiß fließt ihren Rücken hinunter. Es ist still und kühl unter dem Dach der Scheune, nur Nadeshdas Atmen und das Klirren der Gewichte ist zu hören.
Durch die Kunststoffplatten des Scheunendachs fällt das Sonnenlicht schräg auf den Gerätepark: Hantelbank und Turnmatte, Ergometer und Kraftmaschine warten auf Nadeshdas Kraft.
Die Staubkörner tanzen im Licht, treiben schwerelos dahin und sind Zeuge ihres eisernen Willens. Nach der Hantelbank hängt die junge Frau sich an die Stange. Zehn Klimmzüge mit breitem Griff. Kurzes Verschnaufen und Keuchen. Ihre zarte Gestalt hängt mit angezogenen Beinen und langen Armen an der Metallstange. Dann noch einmal zehn Klimmzüge. Hopp. Ein elastischer Sprung, und sie steht auf der Matte. Der Boxsack hängt stumm, und bewegungslos, in banger Erwartung. Er ist die nächste Station.
Während Nadeshda ihren Körper unterm Scheunendach stählt, lärmt draußen der Frühling. In den alten Eichen auf dem Hof schreien die Vögel wie von Sinnen. Die Sonne scheint von einem Himmel, der hellblau und unschuldig auf alles sieht, was geschieht. Nadeshda schert sich nicht darum. Sie trainiert, sie legt sich einen Panzer aus Muskeln zu.
Unten, am Fuß der steilen Holztreppe sitzt die Katze und frisst eine Amsel. Ein Flügel ist noch übrig und der Kopf mit dem hübschen gelben Schnabel. Ein Auge schaut erstaunt und groß in den Frühlingstag. Die Katze rupft und kaut.
Nadeshda weiß: Der Großvater sitzt in der Küche im Wohnhaus und wartet. Sie trainiert jeden Tag. Exakt 45 Minuten. Dann beeilt sie sich, um mit ihm in der kleinen Küche mit den Scheibengardinen den Morgentrunk einzunehmen. Eine Mischung aus rohem Ei, Weizengras, Mandelmus und Apfelsaft. Gesund ist das, es gibt Kraft. Der Großvater ist 93 Jahre alt und hält sich kerzengerade. Die Uhr tickt. 7:37. Noch acht Minuten.
Nadeshda schlägt den Boxsack. Blitzsartig schnellen ihre Fäuste vor und wieder zurück, pfeifend geht ihr Atem dabei durch die gespitzten Lippen. Fuh, fuh-fuh. Ein Trippelschritt zurück, die Fäuste ans Kinn. Und wieder vor. Fuh, fuh-fuh. In der zarten Kuhle über dem Gesäß haben sich kleine Schweißperlen gesammelt. Sie fließen hinab und färben das Bündchen der ausgewaschenen grauen Turnhose dunkel.
Es ist 7:43. Zeit zu gehen. Nadeshda nimmt das Handtuch vom Turnkasten und wischt sich den Schweiß aus dem Gesicht. Unten an der Treppe hat die Katze ihr Mahl beendet. Ein paar Federn und der gelbe Schnabel liegen dort, angewidert schiebt das Mädchen sich an dem Häuflein vorbei.